Ehime – Platz der Erleuchtung
Morgen früh soll es losgehen! In der Nacht konnte ich vor Aufregung kaum schlafen. Würde mein Plan funktionieren? Wie würde es weiter gehen? War die Entscheidung, Kochi zu verlassen, richtig? Würde ich die Jugendherberge in einer Stadt finden, in welcher eine halbe Million Menschen leben? Sollte ich vielleicht doch lieber in Kochi bleiben?
Am Morgen hieß es dann wirklich schweren Herzens Abschied nehmen von den Herbergseltern. Ich hatte eine gute Zeit bei ihnen. Die Herbergsmutter verwöhnte mich beim Essen. Jeden Tag hatte sie sich etwas Neues einfallen lassen. Das war sicher nicht allzu leicht für sie.
Ich hatte mein eigenes Zimmer und konnte die Temperatur nach meinen Vorstellungen einstellen. Meine Wäsche konnte ich problemlos waschen und wann immer ich wollte, an den Rechner gehen.
Der Herbergsvater schmunzelte manche Male, wenn ich spät abends noch einmal in meiner Yukata barfuß nach unten an den Rechner schlich.
Auch Kaffee, Tee und Wasser konnte ich trinken, so viel wie ich wollte. Es stand stets ausreichend zur Verfügung.
Japaner und Deutsche
An einem Nachmittag, ich war der erste Gast des Tages, hörte ich aufgeregtes Stimmengewirr im Eingangsbereich der Herberge. Natürlich habe ich sofort nachgesehen. Da stand ein Tisch, darauf ein Stuhl, auf diesem der Herbergsvater. Er versuchte die Glühbirne in Foyer zu wechseln. Seine Frau hielt gemeinsam mit ihrer Mutter den Stuhl fest, damit er nicht abstürzt. Dabei wurde laut und aufgeregt kommentiert. Wieder einmal stellte ich fest, so verschieden sind unsere Völker wirklich nicht.
Zum Abschied versprach ich dem Herbergsvater, mit meinem Mann noch einmal zurück zu kommen. Ich glaube, er war daran interessiert, den Mann dieser „Verrückten (Deutschen)“ kennen zu lernen.
In der Nacht vor meiner Abreise aus Kochi wachte ich voller Schrecken auf.
Mir fiel ein – ich hatte mir zwar sämtliche Zugabfahrtszeiten bis in die Nacht in der Touristeninfo heraussuchen lassen, hatte aber die Tempelschließzeit um 17 Uhr nicht berücksichtigt. Damit wurde mir klar, dass ich keine Chance hatte, zu allen Tempel zu pilgern. So hatte ich keine Wahl, ich musste meinen Plan bereits vorab wieder canceln.
Auf nach Matsuyama
Ehime, die Präfektur der Erleuchtung, begrüßte mich mit strahlend blauem Himmel. Ich sah unterwegs baumbewachsene kleine und sehr hohe Berge. Durch den vielen Regen waren die Flüsse angeschwollen. Und ich sah unendlich viele Reisfelder. Auf der Fahrt mit dem Zug in Richtung Tempel 41 standen viele Fahrgäste ehrfurchtsvoll auf, so beeindruckend war das Panorama.
Es war schon ein eigenartiges Gefühl wieder mit der kompletten Ausrüstung (Pilgerhut, Pilgerstock, Pilgerhemd, Handschuh, Rucksack, und seit Kochi habe ich auch einen Schirm) loszuziehen. Es war irgendwie, als ob der Rucksack die Last meines Lebens darstellt…

Ich lief zum Tempel 41 und weiter zum Tempel 42. Den 43er pünktlich zu Fuß zu erreichen hatte ich keine Chance, so musste ich es mal wieder mit trampen versuchen. Das war kein Problem, auch mein gesamtes Gepäck passte ins Auto rein. War es Zufall oder Ironie des Schicksals? Der Navigator im Auto schickte uns nicht zum Tempel 43, sondern wir landeten noch einmal am Tempel 42. So fuhren wir noch einmal die gesamte Strecke mit dem klimatisierten Auto, welche ich vorher schweißtriefend gelaufen war.



Das Ehepaar bot mir an, mich mit bis Matsuyama zu nehmen.
Ich hatte zwar bereits die Fahrkarte in der Tasche. Jedoch wollte ich nicht unhöflich erscheinen und nahm das Angebot daher an. Wir fuhren auf einer der wenigen Autobahnen über Shikoku. Die Landschaft mit ihren grünen Bergen sah traumhaft schön aus. Immer wieder neue Ausblicke – ich konnte kaum meine Augen abwenden.
Am Stadtrand von Matsuyama angekommen, wollten mich die Beiden kurzerhand direkt an der Mautstelle absetzen, das fand ich denn doch nicht so gut. Hatte ich doch überhaupt keine Ahnung, wo ich mich befand und wie ich von hier zur Jugendherberge kommen sollte. Sie schienen das auch einzusehen. Wir fuhren weiter zu einem Restaurant in der Nähe. Dort wollten sie sich nach dem Weg erkundigen.
Glücklicherweise fuhr ein Bus unweit des Lokals ins Zentrum der Stadt. So schnallte ich mir mein Gepäck auf. Ich bedankte mich bei ihnen sehr höflich und ging zur Haltestelle. Es dauerte auch gar nicht lange, bis ein Bus kam. Damit konnte ich zum Bahnhof fahren. Von dort fuhr ich mit der Straßenbahn bis „Dogo Onsen“ – dem berühmtesten Bad von Japan. Noch ein paar Minuten Fußmarsch und ich landete tatsächlich an der Jugendherberge.
Jugendherberge in Matsuyama
Diese Jugendherberge war viel größer als die in Kochi. Der Herbergsvater in Kochi hatte mir gesagt, dass die Herbergseltern von Matsuyama durch die vielen Touristen auf jeden Fall Englisch sprechen. Das war leider gar nicht der Fall. Mein Speiseplan wurde mit Hilfe von selbstgezeichneten Piktogrammen (Vogel, Fisch, Eier) abgesprochen.
Das Zimmer war ganz oben unter dem Dach, klein aber mein. Viele Besucher der Jugendherbergen teilen sich gewöhnlich mit Fremden ihre Zimmer, um Kosten zu sparen. Aber den Luxus des Einzelzimmers gönnte ich mir – Tür zu und Mensch sein… Die Waschräume und die Waschmaschine waren eine Etage tiefer und es gab auch wieder ein japanisches Bad. Auch wenn es unlogisch erscheint, bei 40°C Außentemperatur mit 40°C zu Baden, ich hatte mich daran gewöhnt.
Der Rechner, diesmal gab es drei Stück, stand in einem Aufenthaltsraum. Dort durfte man auch eine der vorhandenen CD´s selbst in einen Player einlegen. Auch verschiedene Massagegeräte zur Entspannung standen zur Verfügung. Das Haus war insgesamt wesentlich älter, als das in Kochi. Es gab auch wesentlich mehr Spinnen, eine Handtellergroße hing direkt am Fenster vor dem PC. Ich bekam wieder meine Bettlaken, Handtücher und Yukata und schleppte es mitsamt meinem Pilgergepäck in den 3. Stock über sehr schmale Treppen.
In Japan ist es unüblich den Gästen das Gepäck zum Zimmer zu tragen.
Auch wenn ich eine uralte Oma wäre, müsste ich selber sehen, wie ich zurecht komme. Ich las einmal, dass dies mit dem buddhistischen Glauben zusammenhängt. Wenn mir jemand helfen würde, würde ich in seiner Schuld stehen. Damit wäre ich für immer zur Dankbarkeit verpflichtet. Und das wollen sich die Japaner gegenseitig ersparen.
Als ich am Rechner saß, sprach mich eine ältere Japanerin an. Sie erzählte mir, sie würde diese Jugendherberge lieben und seit Jahren hierher kommen. Ich freute mich, dass sie Englisch sprach und sie erklärte mir, dass sie sogar Englischlehrerin wäre. Die Kommunikation war dann doch etwas schwierig mit ihr, da sie viele Worte verwechselte, wie z.B. wer und was.
Touristeninformation in Matsuyama
Am Nachmittag ging ich in die hiesige Touristeninformation, um heraus zu finden, wie ich zu den nächsten Tempeln kommen könnte. In Tokushima und Kochi hatte ich gelernt, dass sie mir bereitwillig Auskunft auf meine Fragen gaben. Hier in Matsuyama war das anders. Ich stellte meine Fragen und der Angestellte wurde immer unruhiger. Es schien mir, als ob es ihm zu viel Aufwand wäre, mir die entsprechenden Zeiten heraus zu suchen. Bereits nach der 3. Frage sagte der Mann zu mir, er wäre sehr „busy“.
Ich schaute ihn fassungslos an und erklärte dann (etwas lauter als in Japan üblich), dass ich das nicht verstehen würde. Wie sollte ich als Ausländerin mich ohne seine Unterstützung hier auf Shikoku zurechtfinden? Ob er sich je Gedanken gemacht hätte, wie ich denn sonst die Bus- und Zugabfahrtszeiten herausfinden könnte? Im Internet waren keine Fahrpläne verfügbar. Wie sollte ich die Fahrpläne lesen, welche nur in Kanji ausgehängt sind? Ich fragte ihn, ob er denn Deutsch sprechen könnte, das würde uns alles wesentlich erleichtern.
Wie euch inzwischen bekannt ist, ist es das Schlimmste was passieren kann, dass ein Japaner sein Gesicht verliert. Ich glaube, diesmal nutzte ich mein Wissen ob ihrer Regeln aus – und siehe da – es funktionierte. Von „busy“ war plötzlich nichts mehr zu spüren. Er suchte mir die Fahrpläne heraus und schrieb mir die End- und Zielhaltestelle in lesbarem Hiragana drauf.
Auch wenn ich alle notwendigen Informationen von dem Mann erhielt, kostete die Planung mich dennoch stets viel Kraft.
Ich hasse es, ständig nach dem Weg fragen zu müssen. Und ich mag es auch kein bisschen, mich ständig in unbekannte Gegenden vorzuwagen. Dazu kommt die Unsicherheit, ob ich an alles gedacht und alles berücksichtigt habe. Und es fiel mir stets unendlich schwer, Entscheidungen auf Gebieten zu treffen, auf denen ich mich nicht auskenne.
Hinzu kam, man kann sich auf Shikoku nicht einfach mal an den Bus stellen. Außerhalb der Stadt fahren die Busse manche Male nur zweimal am Tag und dann kommt nix mehr. Verpasse ich den Bus, hätte das zur Folge, dass ich dann irgendwo stehe und nicht mehr zurückkomme. Sicher könnte ich versuchen zu trampen, aber das wollte ich nur in Notfällen nutzen und nicht gleich davon ausgehen. Der Nachteil beim Trampen ist ja, dass bei den vielen Tempeln der Parkplatz direkt davor ist. Auch wenn ich eine bequeme Pilgerin bin, war ich doch ein bisschen stolz darauf, dass ich eine Fußpilgerin war.
Nach der für mich psychisch sehr anstrengenden Fragerei im Touristenbüro, brauchte ich erst einmal eine Entspannung. So kaufte ich mir ein Tagesticket für die Straßenbahn und fuhr die nächsten drei Stunden quer durch Matsuyama. Dadurch bekam ich einen ersten Eindruck von der Stadt und fand auch gleich einen „englisch sprechenden Geldautomaten“. An diesem konnte ich wieder Nachschub holen. Bargeld ist wichtig auf Shikoku, mit Kreditkarte konnte ich bisher nirgendwo bezahlen.
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