Japan Pilgerreise

Japan – Insel Shikoku – Reisebericht Teil IV

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Ich lief allein weiter.

Unterwegs fand ich wieder einen Tante Emma Laden. Genauso wie beim ersten Mal stand da ein Tisch mit Stühlen. Ich schnallte mein ganzes Gepäck ab, setzte mich hin und sagte auf Japanisch „Ich möchte bitte ein Frühstück“. Die Besitzerin sah mich an und verschwand. Nach ca. 10 Minuten kam sie wieder und gab mir aber nichts zu essen. Na gut, dachte ich und bat um eine Tasse Tee. Dieses Problem war für die Frau lösbar und sie schenkte mir eine Tasse ein.

Nun ging ich durch den Laden und suchte nach etwas für mich (als Vegetarierin) Essbarem. Brötchen mit Marmeladenfüllung war okay, zusammen mit dem Tee. Dann griff ich mir noch eine Packung mit Keksen aus dem Regal und wollte bezahlen. Nein – die Frau machte mir klar, dass ich nichts bezahlen darf – es war ein Ossetai. Herzlichen Dank. Daran konnte ich mich leicht gewöhnen.  

Höflichkeit in Japan

Heute muss ich über mich grinsen, wenn ich mich an die Situationen in den Tante Emma Läden noch einmal erinnere. Man stelle sich das mal in Deutschland vor! Da kommt eine Fremde in ein x- beliebiges Geschäft, setzt sich hin und will Frühstück haben. Ich glaube, die Fremde wäre sofort rausgeflogen. Aber sowas passiert in Japan nicht. Man wartet erst mal ab. In der Hoffnung, vielleicht löst sich das Problem von allein auf.

Glücklich und zufrieden lief ich den letzten Kilometer zum Tempel 7. Es begann zu regnen und ich erreichte den Tempel vor 7 Uhr (Öffnungszeit). So musste ich warten, bis das Büro öffnete, um meinen Stempel und die Kalligrafie zu erhalten.  

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Tempel 8
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Tempel 9

Ich lief weiter 4,2 km zum Tempel 8. Zum Tempel 9 waren es 2,4 km und von dort zu Tempel 10 noch mal 3,8 km. Der Regen hatte aufgehört und jetzt brannte die Sonne. Anfangs ging der Weg durch kleine Städte an Straßen entlang. Aber jetzt ging es mittlerweile bergauf und bergab, so dass ich am Tempel 10 ziemlich KO war. Wieder sah ich viele, viele Treppen vom Tor zum Tempel hinaufführen und es schmerzte heftig in meinem Kopf. Möglicherweise zeigten die Sonne und die körperliche Anstrengung ihre Wirkung. Also wollte ich erst einmal verschnaufen und blickte mich um.

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Tempel 10

Zelten erlaubt?

Da entdeckte ich auf dem Weg zum Tempel einen Platz mit Wiese, auf einer kleinen Anhöhe – hier müsste Zelten doch eigentlich erlaubt sein? Ich stieg auf den kleinen Berg und schaute, an welcher Stelle mein Zelt am wenigsten für andere von unten sichtbar war. Und ich entdeckte in der Nähe eine Toilette, welche ich jedoch nach der Besichtigung lieber mied. Sie war zwar sauber, aber mir waren es einfach zu viele Spinnen, die sich hier heimisch fühlten.

Ich lief immer wieder rauf und runter und schaute, ob man mein Zelt auch wirklich von unten nicht sehen konnte. Nachdem ich mich für einen Platz entschieden hatte, baute ich mein Zelt auf und legte mich erst mal hin. Ich ruhte vielleicht 3 Stunden, bis das Hacken im Kopf etwas nach lies. Dann raffte ich mich auf, erklomm die Treppen zum Tempel, verrichtete meine religiösen Handlungen, holte mir meinen Stempel und pilgerte zurück zu meinem Zelt.

Mein erste Regenzeit

In der Nacht setzte der Regen wieder ein und mit Grausen musste ich feststellen, dass mein supertolles Zelt undicht war. Es regnete nicht nur an den Nähten rein, nein es sprühte regelrecht auch an den Flächen durch. Der Verkäufer hatte gesagt, dass das Material einige Zeit zum Quellen benötigt. Aber nach mehreren Stunden hätte das Material doch dichten müssen! Ich nutzte das Tuch, welches ich am Tempel 1 geschenkt bekommen hatte und wischte alle halben Stunden die Pfützen im Zelt auf. Meinen Rucksack und meine Schuhe packte ich in den Regenponcho, damit diese wenigstens trocken blieben. Mich selbst konnte ich nicht schützen, ich lag auf meiner Matratze und es regnete auf mich herab. An Schlaf war da nicht zu denken.

Am Morgen regnete es immer noch. Wie sollte ich da mein Gepäck zusammenpacken? Das Zelt (nass und damit noch schwerer) musste als erstes in den Rucksack. Und bis das Zelt im Rucksack verstaut wäre, wäre alle andere Ausrüstungen patschnass geworden. Also wartete ich ab. Kekse hatte ich ja noch. So aß ich mittags 4 Stück und als der Regen bis zum Nachmittag nicht nachließ, beschloss ich noch eine Nacht an dieser Stelle zu verbringen und aß wieder 4 Kekse als Abendbrot.

Für mich als Städterin war es bis dahin unvorstellbar, dass man ca. 30 Stunden liegend in einem Zelt verbringt und nichts zu tun hat. Ich denke, am besten können Bergsteiger und Wanderer nachfühlen, wie es ist, nach einem Wetterumschwung fest zu sitzen.

Ich hätte zwar in meinem Buch lesen können, aber ich hatte überhaupt keine Lust dazu. So lag ich vom Nachmittag bis zum übernächsten Morgen in meinem Zelt und döste einfach so vor mich hin.

Ich spürte das erste Mal Angst auf Shikoku!

Zu erwähnen ist noch, dass hinter meinem Zelt ein Gebäude war, in dem Werkzeuge und sonstige Geräte gelagert waren. In der ersten Nacht hörte ich ein Poltern in diesem Gebäude und freute mich – juhu ich bin nicht allein, da ist noch ein anderer Pilger. Leider konnte ich ihn durch die Fenstergaze in meinem Zelt nicht erspähen. Am nächsten Tage hatte ich mein Zelt noch mal neu gespannt, so dass ich nun einen besseren Ausblick hatte. In der Nacht polterte es noch lauter in dem Gebäude hinter mir. Und ich sah wieder keinen Menschen, das war mir schon unheimlich.

Am nächsten Morgen schien die Sonne, also nahm ich meine Zahnbürste und wollte mir an einer Wasserstelle in der Nähe die Zähne putzen. Da sah ich ihn, keine 10 Meter von mir entfernt, saß ein freilebender Affe auf einem Baum. Da war mir klar, wer neben mir übernachtet hat. Ich bekam Angst, was sollte ich tun – kein Mensch in der Nähe, ich war ganz allein.  

Aber der Schreck dauerte nur ein paar Sekunden, da hörte ich wie ein Rudel Hunde laut bellend den Berg herunter gerannt kam. Und ich hatte gelesen, dass es wilde, streunende Hunde in Japan gibt, vor denen man sich in Acht nehmen sollte! Ich griff mir einen Stock und sprang auf eine Bank und fing an auf Japanisch zu schreien „Sumimassen, Sumimassen – Hilfe, Hilfe“. Kein Mensch hörte mein Rufen. Was sollte ich nur tun? Die Hunde standen inzwischen vor mir und kläfften mich an. Ich starb vor Angst.

Nach einer Zeit, die mir unendlich lang erschien, kam vom Tempelberg ein Quad gefahren. Die Hunde wurden von dem Quadfahrer Gassi geführt! Das soll mal einer ahnen.

Mein Eigentum – dein Eigentum

Als ich das Rudel wieder den Berg hoch rennen hörte, fiel mir der Affe wieder ein. Affen sind sehr diebisch und auch sehr flink, wenn ihnen etwas gefällt. Und ich hatte keinerlei (Gepäck-) Reserven, wenn er mir etwas stibitzte. Also überlegte ich erst einmal, wie ich am Schnellsten meine Ausrüstung zusammenpacken konnte, ohne etwas einzubüßen. Ratz Batz setzte ich den Plan um und ich hatte Glück, der Affe ließ sich nicht sehen.

Neueste Nachrichten über Lautsprecher

Weiter ging es zum Tempel 11 diesmal 9,8 km. Als ich da so über die Felder lief, ertönten auf einmal Lautsprecherdurchsagen. Was war denn jetzt? Ich hatte im Internet gelesen, das in Japan sehr oft Erdbeben sind. War dies eine Vorwarnung? Keine Ahnung. Ich lief einfach weiter und beobachtete die Gegend. Waren irgendwo Menschen zu sehen, welche aufgeregt hin- und her wuselten? Ich hatte schon ein paar Mal die Evakuierungspläne in den Dörfern gesehen. Nein, kein Mensch war in Sicht. Ich lief weiter, als urplötzlich Musik aus den Lautsprechern tönte… Sehr viel später erfuhr ich, dass die Durchsagen eine Art regionale Nachrichten waren. Neuigkeiten, wie Todesfälle und Geburten, wurden verkündet.

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Das fand ich witzig: Beete und Gräber gleich beieinander.

Es war heiß, die Sonne brannte und es gab keine Bänke zum Ausruhen.

Der Weg über die Felder war schattenlos durch die brütende Sonne. Wo war ein Platz, um meinen Rucksack mal abzustellen und eine Pause zu machen? Ich konnte keine Bank entdecken. Ganz hinten in der Ferne sah ich Bauern. Als ich zu ihnen kam, fragte ich, ob ich meinen Rucksack mal auf der Laderampe des Lieferautos abstellen konnte. Nach erteilter Erlaubnis stand ich da nun und schnaufte vor mich hin. Das war natürlich nicht idyllisch, also ging ich weiter.

Ich überquerte einen Fluss. Da dieser nahezu ausgetrocknet war, überlegte ich, ob ich hier mein Zelt aufbauen könnte? Dann erinnerte ich mich jedoch an Ossis Erlebnis. Er hatte auch mal abends sein Zelt am Fluss aufgebaut. Am nächsten Morgen war der Fluss über seine Ufer getreten und hatte alles überschwemmt. Da mir dies zu riskant war, zog ich weiter.

Ich entdeckte eine kleine Unterkunft für Pilger. Sie sah äußerlich wie eine Bushaltestelle aus und darin war ein Brett in halber Höhe angebracht – zum Schlafen. Über der Pritsche hingen viele, viele Wunschzettel von Pilgern, die möglicherweise hier übernachtet hatten. Ich blätterte sie durch, aber alle waren in japanischen Schriftzeichen geschrieben. Zum Übernachten fand ich den Platz dann auch eher ungünstig, denn wo hätte ich hier auf Toilette gehen und mich waschen können?

Die Unterkunft war zwischen Häusern an einer großen Straße. Also lief ich wieder weiter und stellte etwas später fest, dass ich meine Handschuhe vergessen hatte. Da die Parole war, vorwärts immer rückwärts nimmer, achtete ich ab sofort sehr auf meine Ersatzhandschuhe.

Laufen, laufen, laufen…

Ich glaube, dies war auch die Gegend wo mir Geier begegneten und folgten. Ich war mittlerweile gleichgültig und abgestumpft. Ich empfand keinerlei Angst mehr, als ich so allein mit diesen Tieren war.

Und ich fing an zu philosophieren, warum sich Schweiß auf der Haut bildet, wenn man schwitzt? Da der Mensch eine absolut geniale Konstruktion ist, musste dies auch einen Sinn haben? Ich kam zu dem Entschluss, dass der Schweiß die Haut kühlt.  

Ich spürte, dass ich immer gleichgültiger wurde. Die Sonne brannte erbarmungslos.

Am Tempel 11 machte ich erst mal Pause und legte mich auf eine Bank. Die Schuhe hatte ich ordentlich ausgezogen und der Kopf ruhte auf meinem Rucksack. Als ich so vor mich hindöste, erschrak ich ziemlich heftig, als etwas plötzlich über mein Gesicht krabbelte. Was war das? Eine Spinne – eine Schlange? Was war das? Es war eine Eidechse – meine Nerven waren schon ziemlich strapaziert. Als ich mich ein wenig körperlich erholt hatte, wollte ich weiter zu Tempel 12. Aber wo war der Weg? Ich fragte den Tempelpriester und der erklärte mir „Heute verboten“. Er suchte sein Häuschen nach einem Wörterbuch ab, welches er nicht fand. Es blieb dabei „Heute verboten“. Was nun?

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Tempel 11

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Zusammenfassung
Name des Artikels
Höflichkeit in Japan
Beschreibung
Mein Reisebericht - Pilgern in Japan. Ich lief allein weiter - Höflichkeit in Japan, Teil IV meiner Pilgerreise auf Shikoku.
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Marketing Dresden