Auf dem Pilgerweg
Bereits nach den ersten Metern fand ich Pilgerwegmarkierungen. Ich wusste, dass ich nur diesen Schildern zu folgen brauchte, um den Pilgerweg zu absolvieren.

Unterwegs schaute ich mich erst mal um. Nein einen Supermarkt, ein Hotel oder einen Geldautomaten sah ich nirgends. Ich dachte, dass es dies doch eigentlich hier in Japan auch geben müsste? In meinem rein japanischen Atlas konnte ich diesbezüglich nichts erkennen.
Allerdings half der Atlas mir meistens heraus zu finden, in welche Richtung ich laufen musste, wenn es an Straßenkreuzungen keinen Hinweis gab. Hatte ich überhaupt keine Ahnung, wo der Weg lang ging, kam stets ganz zufällig ein hilfsbereiter Japaner und zeigte mir den Weg.

Zum Tempel 2 waren es nur 1,2 km und weiter zum Tempel 3 waren es 2,5 km zu laufen. Am Tempel 1 waren noch sehr viele Leute, ab Tempel 3 traf ich nur noch sehr wenige Pilger.
An diesem Tempel sprach mich ein Mann an und gab mir ein paar Sicherheitsinformationen. Wenn ich sein Japanisch korrekt verstand, wollte er mir sagen, dass ich meinen Rucksack beruhigt unbeaufsichtigt auf dem Tempelgelände stehen lassen kann. Allerdings auf mein persönliches Gepäck – Geld, Ausweise und besonders auf mein Stempeltempelbuch – sollte ich achten und dieses nie aus der Hand geben.
Wo übernachte ich heute?
Es war mittlerweile Nachmittag geworden und eigentlich genug Aufregung für einen Tag, als das ich noch zum Tempel 4 (4,9 km) laufen wollte. Auch stand in meinem Atlas, ich könnte am Tempel 3 übernachten. Also fragte ich den Tempelbesitzer. Er erklärte mir, dass ich mein Zelt hier aufbauen könnte. Auf meine Frage „Wo dies möglich wäre?“ zeigte er nach links hinten. Ich ging los und überlegte, welchen Platz er meinte? Da waren die beiden Tempel und dazwischen gab es einen kleinen Teich mit Pflanzen und Bäumen. Dahinter waren eine kleine Freifläche und Gräber. Dieser Platz erschien mir als die einzige Möglichkeit mein Zelt aufzubauen. Da die Tempel um 17 Uhr schließen, wollte ich bis dahin warten und dann mein Zelt aufbauen.

„Tante Emma Läden“
Nun musste ich etwas Essbares finden. Ich ließ meinen Rucksack beim Tempel und zog los. Ich sah einen „Tante Emma Laden“. Das sind kleine Geschäfte, in denen es Alles und Nichts gibt, angefangen von Autozubehör, Haushaltwaren bis hin zu Lebensmitteln. Meist sind ältere Frauen die Eigentümerinnen. Dieses Geschäft sah bereits durch das Fenster sehr chaotisch und dreckig aus. Nun dieser Laden musste es nicht sein, also ging ich weiter. Ich sah eine Tür mit Vorhängen und fragte mich, was sich dahinter verbergen mochte? Ein Restaurant oder eine private Wohnung? Als ich hineinsah, fand ich einen Friseur.
In Ermangelung weitere Geschäfte beschloss ich zu dem chaotischen Tante Emma Laden zu gehen. Tante Emma- eine etwa 70-jährige Frau mit lilafarbenen Haaren und pinkfarbenen Crocs begrüßte mich sehr freundlich. Sie verstand auch sofort, dass ich zwar etwas zu Essen benötigte, aber keinen Fisch und kein Fleisch essen wollte. Sie brachte mir Eier, Toast und Tomaten. Dann fing sie an, mir einen Obstsaft zu mixen. Ich trank und vertrug ihn, auch wenn ich diesen vom Geschmack her als vergoren bezeichnet hätte. Für den Morgen gab sie mir noch ein Ei und ein Brötchen. Nun wollte ich bezahlen – sie wollte kein Geld und meinte, dass wäre ein Ossetai (Pilgergeschenk). Herzlichen Dank.
So kam es, dass ich bereits um 16 Uhr Abendbrot gegessen hatte und zurück zum Tempel 3 lief.
Eine unruhige Nacht
Zurück auf dem Tempelgelände wartete ich, bis die letzten Pilger gegangen waren. Gegen 18 Uhr baute ich mein Zelt auf und versuchte mich zu entspannen. Ich döste vor mich hin, als der Tempelwächter völlig entsetzt in mein Zelt lugte und heftig gestikulierte. Was wollte er? Was hatte ich falsch gemacht? Ich hatte keine Ahnung. Heute vermute ich, dass ich hätte mein Zelt auf dem Parkplatz aufbauen sollen. Aber Gott sei Dank ließ er mich bleiben. Die Nacht war sehr unruhig.
Der Pilger Moto
Früh stand ich beizeiten auf, packte mein Zeug zusammen und zog wieder los. Mein Ziel waren jetzt Tempel 4 (4,9 km) und Tempel 5 (2 km). Wieder sah ich unterwegs keinen Supermarkt, keinen Geldautomaten und kein Hotel. Die Tempel waren bis jetzt recht gut ausgeschildert, doch bekam ich den Eindruck, dass es mehrere Wege geben musste. An einem der Tempel sah ich einen japanischen Pilger (um die 40 Jahre), er war ganz edel in Weiß gekleidet, aber er lief sehr langsam. So kam es, dass ich ihn überholte und war dann umso mehr überrascht, als er am nächsten Tempel bereits vor mir eingetroffen war und mit dem Tempelpriestern schwatzte. Ich sah ihn nur noch ein oder zwei Mal. Die Japaner laufen oft nur ein paar Tempel. Manchmal setzen sie den Weg dann im nächsten Jahr fort. Vielleicht machte es dieser Mann genauso.


Und ich traf den Japaner Moto, der etwa 30 Jahre alt war. Er erklärte mir mühsam auf Englisch, dass er bereits die gesamte Runde in 48 Tagen gelaufen war und nun würde er gleich weiterlaufen. Er hatte einen kleinen Rucksack, die Schuhe und die Hose hatten sich inzwischen aufgelöst und sein Pilgershirt war als grau oder eher schwarz zu beschreiben. Gemeinsam liefen wir ein Stück der 5,3 km zum Tempel 6.
Ein Bett im Eingangstor
Es war wieder Nachmittag, ich hatte seit Tante Emmas Frühstück nichts gegessen. Ich fragte die Tempelbesitzer, ob ich bei Ihnen übernachten könnte, so wie es in meinem Atlas stand. Der Mann war sehr höflich und bejahte dies, er nahm mir meinen Rucksack ab, zeigte mir wo Schuhe und Stock hin gehören. Auch vegetarisches Essen war kein Problem für ihn. Ich freute mich, Duschen, Essen und Schlafen…
Als Preis verstand ich 650 Yen – ca. 5 Euro, das empfand ich als wirklich preiswert. Jedoch als ich bezahlen wollte, stellte ich fest – er meinte 6500 Yen und das nur bar. Aber ich hatte doch noch keinen Geldautomaten gesehen. Sollte ich wirklich mein ganzes Geld ausgeben, ohne Aussicht wieder welches zu bekommen? Nein, besser nicht. Also lehnte ich sein Angebot ab und fragte, wo ich denn ansonsten übernachten könnte?
Er meinte übersetzt „Ja das ist möglich, da vorn im Eingangstor kann man oben übernachten“. Ich schaute mir die Örtlichkeit an. Eine schmale Treppe führte in einen kleinen Raum, vielleicht 4*4 m abzüglich Treppenaufgang und Glocke, in dem Pappen und Decken lagen. Ich dachte, hier ist es trocken, es ist erlaubt und da ich unterwegs keine Möglichkeit zum Zelten gefunden hatte, sagte ich mir – warum nicht. Allerdings fand ich keine Möglichkeit zum Duschen. Auf dem Gelände entdeckte ich dann einen Gartenschlauch und so dachte ich, wenn es dunkel ist, nutze ich diesen und dusche mich.
Doppelzimmer

Moto kam wenig später auch in diesen „Raum“ und legte seinen Rucksack ab. Dass er auch hier übernachten wollte, beunruhigte mich weniger. Vielmehr stand wieder die Frage „Was esse ich“? Moto hatte sich erkundigt, eine halbe Stunde vom Tempel entfernt sollte ein Supermarkt sein. Noch mal eine Stunde laufen, dazu fehlte mir inzwischen schon die Kraft. Außerdem sah ich im Souvenirladen ein paar Kekse, das musste für heute ausreichen. Moto bettelte vor dem Laden (viele Pilger betteln um Essen oder eine Geldspende und finanzieren damit ihre „Reise“) und ging dann zum Supermarkt sich etwas zum Essen zu kaufen.
Von Flöhen und Moskitos zerbissen
Mittlerweile entdeckte ich auch eine Toilette auf dem Gelände, wo ich notdürftig meine Sachen und mich waschen konnte. Bereits vor Sonnenuntergang hatte ich meine Luftmatratze aufgeblasen und mich mit Sachen zum Schlafen gelegt. Als Moto kam, suchte er sich eine andere Ecke und wir versuchten zu schlafen. Aber falsch gehofft, wir waren ein Superschmeckerchen für Flöhe und Moskitos. An Schlaf war einfach nicht zu denken. Um mich vor ihnen zu schützen, kletterte ich bei diesem schwül warmen Wetter in meinen Schlafsack. Meine größte Sorge galt meinen Füßen, wenn diese zerstochen wurden, konnte ich nicht mehr weiterlaufen. Dennoch war an Schlaf nicht zu denken, gegen 4 Uhr trieb es Moto und mich hoch und wir liefen weiter. Mein Gesicht war total zerstochen und die Lippen waren geschwollen.
Auch Moto machte keinen erholten Eindruck. Er wollte auf mich warten, um mit mir noch ein Stück gemeinsam zu laufen, jedoch war mein Rucksack viel zu schwer, als dass ich über längere Zeit mit ihm hätte mithalten können. Wir trafen uns noch einmal am Tempel 7 bevor es Abschied nehmen hieß.
Moto hatte erkannt, dass auch ich die Pilgerreise so preiswert wie möglich machen wollte und so hinterließ er mir an den nächsten Tempeln immer Mal eine Nachricht, mit Informationen über preiswerte Übernachtungen. Es war schön, unterwegs in den Tempeln begrüßt zu werden mit „Katolin des? – Bist du Kathrin?“ und eine Nachricht von Moto zu bekommen. Später traf ich ihn noch einmal in Tokushima bettelnd vor dem Bahnhof. Und wer bettelt, macht kein Schwätzchen. Schade, so habe ich nie erfahren, ob er die Runde zweimal absolviert oder zwischendurch abgebrochen hat.

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