Meine Pilgerreise beginnt
Mit dem Bus zum 1. Tempel
Frohen Mutes packte ich am nächsten Morgen mein Gepäck zusammen und lief zum Bus. Um die Fahrkarte zu erhalten, zeigte ich in meinem japanischen Atlas den ersten Tempel der (nicht der englischen Sprache mächtigen) Verkäuferin. Sie gab mir ein Ticket und eine Übersicht über die Bushaltestellen. Die Haltestelle, wo ich aussteigen musste, sowie die Abfahrtszeit wurde mir auf einen Zettel geschrieben und dann wartete ich auf den Bus. Dann saß ich auch schon im Bus und zählte die Haltestellen mit Hilfe des Verzeichnisses mit. Leider hielt der Bus nicht überall, so dass ich anfangen musste die Anzahl der Kanji (in den Bussen wird wie in Deutschland die nächste Haltestelle angezeigt) mit meinem Plan zu vergleichen.
Nachdem ich während der Busfahrt noch einmal dem Fahrer mein Ziel mit Hilfe des Atlasses gezeigt hatte, wurde ich persönlich von ihm auf das Erreichen der Zielhaltestelle aufmerksam gemacht. Da stand ich nun an der Haltestelle.
Aber wo ist der Tempel?
Ich konnte ihn nirgends entdecken. Glücklicherweise war noch ein anderer Pilger mit mir ausgestiegen, er sah meine Hilflosigkeit und sprach mich an. Gemeinsam überquerten wir die Straße und siehe da – ich hatte mein Ziel erreicht.
Erwerb meiner Pilgerausrüstung
Ich wusste, dass es bei diesem Tempel ein Geschäft geben sollte, in dem ich meine Pilgerausrüstung erwerben konnte. So steuerte ich zuerst dorthin. Hier gab es wirklich alles, was Pilger für ihre Wanderung benötigen. Bücher, Atlanten, Bekleidung, Wanderstöcke, Rosenkränze und vieles mehr.
Aber was brauchte ich alles? Wieder half mir der (nicht englischsprechende) Pilger, der mit mir aus dem Bus gestiegen war, so gut es ging. Das einzig größere Problem war der Hut. Ich wollte gern den größten Hut, um mich vor der Sonne schützen zu können. Als ich alle Utensilien zusammen und bezahlt hatte, setzte ich Rucksack und Hut auf. Leider musste ich feststellen, dass der Rucksack zu hoch und damit der Hut nicht mehr tragbar war. Was nun? Ich wollte unbedingt einen Hut!
Also probierte ich den nächst Kleineren. Leider ging dies auch nicht wirklich. Die Verkäuferin riet mir energisch vom Kauf ab. Doch ich war stur, lieber wollte ich den Hut in der Hand tragen, als auf ihn zu verzichten.
Mein erstes Ossetai
Die Tempelpriesterin schenkte mir noch ein Tüchlein, welches das Reiben des Hutes am Kopf verhindern sollte. Das war mein erstes Ossetai – dies sind Geschenke, welche die Pilger während ihrer Reise bekommen. Viele Japaner haben keine Zeit oder keine Möglichkeit, den Pilgerweg selbst zu laufen. Deshalb geben sie den Pilgern kleine Geschenke und unterstützen so finanziell oder materiell diejenigen, die sich auf den Weg gemacht haben und absolvieren damit indirekt auch den Weg.
Ich freute mich über mein erstes Ossetai, ohne zu ahnen, welch nützliche Dienste mir das Tuch beim Wischen meines Zeltes erweisen sollte.
Nachdem ich meine Ausrüstung zusammen hatte, war es an der Zeit die religiösen Handlungen im Tempel zu verrichten. Das bedeutet im Einzelnen:
Religiöse Handlungen an den buddhistischen Tempeln:
- Sich am Eingangstor verbeugen
- Tempelgelände betreten
- Hände und Mund mit Wasser rituell säubern
- Glocke läuten und damit seine Ankunft ankündigen
- Bei der Haupthalle:
5.1. Namenskarte (Visitenkarte) in den Kasten legen und eine Geldgabe machen
5.2. meine Kerze an der eines Vorgängers anzünden
5.3. meine Weihrauchstäbchen an meiner Kerze anzünden
5.4. hannya shingyo (Herzsutra) rezitieren
5.5. 7-Mal das Sutra der Hauptgottheit in der Haupthalle des Tempels rezitieren, beten - Bei der Kobo Daishi-Halle:
6.1. Namenskarte, Kerze und Räucherstäbchen, Geldgabe
6.2. (hannya shingyo rezitieren)
6.3. 21-mal das ‘namu daishi henjo kongo’ rezitieren, beten - Stempel und Kalligrafie in mein Tempelbuch eintragen lassen
- Sich wieder am Eingangstor verbeugen und das Tempelgelände verlassen
Ordnungsgemäß verrichtete ich alle Handlungen, so gut es ging. Anschließend lies ich mir in mein Tempelbuch den ersten Stempel und die erste Kalligrafie eintragen. Damit war ich am ersten Tempel fertig.
Eine japanische Nonne gibt mir die Kontaktdaten eines deutschen Shikoku-Pilgers
Gerade als ich gehen wollte, sprach mich eine japanische Nonne im Tempel an. Irgendwie machte sie mir klar, dass ich warten sollte. Sie verschwand und kam mit einem Zettel und einem Handy wieder. Dass auf dem Zettel Adressen und Telefonnummern von Unterkünften standen, habe ich erst sehr viel später erklärt bekommen.
Sie fragte mich, ob ich einen Ryofu kennen würde, was ich verneinen musste. Sie schrieb mir seine Telefonnummer auf und wählte sie auch gleich. Erst sprach sie kurz mit ihm und übergab mir dann das Handy. Am anderen Ende meldete sich eine angenehme Männerstimme auf Deutsch. Wir sprachen kurz miteinander. Ich erfuhr, dass der Mann selbst den Pilgerweg mehrmals absolviert hatte und in Tokyo lebt. Nun erzählte ich ihm meine Pläne und Ryofu meinte, wenn es Probleme gäbe, wäre er jederzeit für mich da. Was für ein nettes Angebot.
Ich verabschiedete mich von der Nonne und stand wie eine richtige Pilgerin gekleidet vor dem Tempel.
Und nun wohin? Nach links oder nach rechts? Wenn ich doch bloß die Karte mit den japanischen Schriftzeichen lesen könnte!
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