Am nächsten Tag wollte ich zum heiligen Berg Koya San fahren.
Meine Gastgeber brachten mich zum Bahnhof und wollten unbedingt meine Fahrkarte bezahlen. Ich erfuhr, dass ich zweimal umsteigen muss, um an mein Ziel zu gelangen. Wir vereinbarten noch, dass ich sie bei meiner Rückkehr in Wakayama anrufe, damit sie mich wieder vom Bahnhof abholen können. Pro Strecke benötigte ich ca. 3 Stunden Fahrtzeit. Auch auf dem Berg rechnete ich mit etwa 3 Stunden. So sagte ich ihnen, dass ich gegen 18 Uhr zurück sei. Dann zog ich los.
Die Fahrerei klappte ganz gut und gemeinsam mit vielen anderen Touristen erreichte ich mein Ziel. Ich war richtig stolz auf mich, dass ich nun auch hierher gefunden hatte und das ganz ohne Reiseführer oder Kartenmaterial. Für alle Pilger ist es ein Muss, die Pilgerreise hier in Koya San abzuschließen. Aus diesem Grund gibt es sehr viele Tempel und Hotels, wo die Pilger und Touristen übernachten können. Allerdings sind diese sehr teuer, man muss ca. 10.000 Yen (80 Euro) pro Nacht und 2 Mahlzeiten bezahlen. Da mir dies zu teuer war, bevorzugte ich die Wakayama Variante und machte nur einen „Ausflug“ hierher.
Bei diesen unzähligen Tempeln den Richtigen zu finden, in welchem es für mein Tempel-Stempel-Buch den letzten Stempel gibt, war gar nicht so einfach. Allerdings waren hier erleichterte Bedingungen gegeben, da ich mich auf Englisch durchfragen konnte. So kam ich zu dem Tempel, der direkt neben dem Mausoleum steht. Es war gerade eine Zeremonie im Gange und die Touristen wurden gebeten Abstand zu halten. Für mich galten diese Regeln nicht, ich war Pilgerin, wie jeder sehen konnte. Und an der Farbe meines einst weißen Kittels konnte jeder erkennen, dass ich weitestgehend als Fußpilgerin die Runde absolviert hatte.
Wieder gab es viele Japaner, die sich vor mir verbeugten.
Ich zog meine Schuhe aus und hockte mich auf den roten Teppich und zelebrierte das Herzsutra mit Blick auf Kobo Daishi. Immer und immer wieder verbeugte ich mich vor ihm. Hatte er mich doch all die Zeit begleitet und beschützt. Ich kniete bald eine Stunde und ließ noch einmal all meine Erlebnisse vor meinem inneren Auge ablaufen. Und mir flossen die Tränen. Erst jetzt war es wirklich vollbracht. Erst jetzt hatte ich mein Ziel erreicht. Und wieder verbeugte ich mich. Es waren viele Nichtjapaner im Tempel, welche nicht einmal ahnten, warum ich diese Kleidung trug und was das alles bedeutete. Doch viele der Japaner lasen die Aufschrift auf meinem Pilgerhemd. Und auch die Tempeldiener grüßten mich sehr freundlich. Ich verschmolz mit dem Tempel, Kobo Daishi und allem herum. Ich bildete eine richtige Einheit mit allem.
Irgendwann raffte ich mich auf und lief wieder über diesen riesengroßen Friedhof zurück.
Ich schaute mir noch den Haupttempel – hier musste man für die Besichtigung bezahlen – sowie die anderen bedeutenden Bauwerke an. Dann wollte ich diesen besonderen Ort wieder verlassen. Mir war das alles viel zu kommerziell, für jeden Tempelbesuch Eintritt zu bezahlen. Es gab überall Souvenirläden und dazu die vielen Menschen. Ich war das einfach nicht mehr gewöhnt. So fuhr ich wieder zurück nach Wakayama. Sicher ist es schön, hier mal das Tempelleben kennen zu lernen und an den Zeremonien teilzunehmen, wenn man sonst keine andere Möglichkeit dazu hat.
Ich hatte aber im Hazama Tempel bei meinen Tempeleltern bereits die Gelegenheit gehabt, jeden Morgen mit an der Zeremonie teilzunehmen. Gemeinsam mit der Mutter rezitierten wir das Mantra „Nam wan dau“ während sie den Rhythmus auf speziellen Instrumenten klopften. Dieses „Nam wan dau“ ist genauso kraftvoll wie das Herzsutra.
Meine Gastgeber waren vor Angst völlig aufgelöst.
Da ich wesentlich eher als geplant zurück in Wakayama war, beschloss ich erst noch ein paar Blumen für meine Gasteltern zu besorgen. Dann wollte ich mich telefonisch bei ihnen zurückmelden. Gedacht, getan, ich suchte also einen Blumenladen und kaufte Blumen. Anschließend lief ich wieder zurück zum Bahnhof.
Auf einmal kam mir der Mann entgegen. Ich dachte mir nichts Schlimmes dabei und begrüßte ihn freundlich. Ich merkte jedoch, dass er sehr unruhig war. Kurze Zeit später kam auch die Frau auf uns zu gerannt. Sie hatte Tränen in den Augen und war völlig aufgelöst. Ich überlegte, was denn in der Zwischenzeit passiert sein könnte. Dann begriff ich, sie hatten sich Sorgen um mich gemacht. Obwohl ich wesentlich zeitiger als geplant nach Wakayama zurückgekommen war, hatten die Beiden mich vermisst und auch schon Hitomi informiert.
Eigentlich wollte ich ein paar Tage in Wakayama bleiben. Doch in diesem Moment wurde mir klar – ich muss abreisen. Ansonsten verkraften meine Gasteltern und ich diesen Aufenthalt nicht. Sie waren zwar herzensgut, aber so funktionierte das Ganze nicht. Bloß wie mache ich ihnen das begreiflich? Mein Japanisch war für so eine heikle Diskussion nicht ausreichend. Ich konnte ihnen nicht sagen, also ihr seid zu herzensgut und nehmt einfach zu sehr Besitz von mir – dass erlaubte die japanische Höflichkeit meines Wissens nach nicht.
Ich beschloss Hitomi um Hilfe zu bitten.
Auch wenn sie eine Japanerin ist, konnte ich wenigstens versuchen, ihr auf Englisch das Problem zu schildern. Ich bat also meine Gasteltern, mir eine telefonische Verbindung zu Hitomi herzustellen. Dann versuchte ich Hitomi das Problem zu erklären. Ich erzählte, dass die Beiden mich wie ein Kind behandelten. Und dass sie voller Sorge waren, als ich mich nicht bei ihnen sofort nach meiner Rückkehr aus Koya San gemeldet hatte. Und das, obwohl ich wesentlich zeitiger nach Wakayama zurückgekehrt war (auch nach dem Blumenkauf), als es theoretisch überhaupt möglich gewesen wäre.
Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich unbedingt abreisen müsste. Ich bat Hitomi dem Ehepaar mit einer Notlüge dies zu erklären (Notlügen sind in Japan erlaubt). Mein Vorschlag war, sie solle meinen Gasteltern erzählen, dass ich einen Bekannten in Koya San getroffen hatte. Mit ihm wollte ich gemeinsam noch ein paar Tage in Osaka verbringen. Ich versuchte Hitomi das so höflich wie nur möglich zu verklickern. Das war natürlich sehr schwierig. Aber irgendwie ahnte sie, was das Problem war und was ich wollte. Sie sprach mit der Frau und diese brach gleich wieder in Tränen aus und schimpfte mit mir. Es nützte nichts, da mussten wir durch. Wir fuhren zurück zu ihrem Haus und aßen Abendbrot und anschließend besuchten wir wieder das Onsen. Es war wie am Abend vorher. Was ich wollte, zählte nicht.
Meine Gastgeber hatten mitbekommen, dass ich keine Wechselwäsche hatte. Sofort wollten sie mir auch unbedingt ihre Wäsche geben. Abends um 22 Uhr wollten sie noch meine Wäsche waschen und bügeln. Den Schlüpfer lehnte ich konsequent ab, das T-Shirt nahm ich vorerst. Auch beim Schlafen ließ ich mich auf keine Diskussion ein. Ich weigerte mich unter der Uhr zu schlafen.
Am nächsten Morgen hieß es Abschied nehmen von Wakayama und meinen Gastgebern.
Ich packte meinen Rucksack und sie bemitleideten mich, ob des Gewichts. Dennoch ließen sie sich nicht davon abhalten mir noch eine 2 kg schwere Kekskiste als Geschenk mitzugeben. Ich versuchte ihnen zu erklären, dass ich keinen weiteren Beutel tragen konnte. Wie immer ließen sie mir keine Alternative. So packte ich die Kiste in meinen so schon nicht gerade leichten Rucksack (ich hatte in der Zwischenzeit eine Menge Souvenirs erhalten) und wir fuhren gemeinsam zum Bahnhof.
Das Kaufen der Fahrkarte ließen sie sich nicht nehmen und dann brachte die Frau mich zum Bahnsteig. Sie wollte sicher gehen, dass ich den richtigen Zug bekomme. Als der Zug eintraf, verbeugte ich mich tief vor ihr und wir umarmten uns. Sie waren wirklich herzensgut zu mir gewesen. Und ich war dankbar, dass ich bei ihnen die beiden für den Besuch von Koya San notwendigen Nächte bleiben durfte. Ihre Tränen rannen und auch mir tat es leid, dass es so gekommen war. Aber es wäre sowohl für das Ehepaar als auch für mich nicht gut gewesen.
Schlusswort in meinem Blog:
So möchte ich mich heute verbeugen, vor euch meinen Freunden, dankbar für die Anteilnahme und Unterstützung bei meinen Erlebnissen. Und ich verbeuge mich vor den Japanern, dankbar für ihre Gastfreundschaft, Güte und Warmherzigkeit, in der Hoffnung diese noch lange in meinem Herzen bewahren zu können.
Eure Kathrin
Hier endet meine Pilgerreise. Ich blieb ein paar Tage in einem Hotel in Osaka. Von dort reiste ich weiter zu Mine. Auch bei durfte ich ein paar Tage bleiben. Eine Woche später wollte mein Mann nach Japan kommen. Wir hatten geplant, gemeinsam als Touristen durch Japan zu reisen. So nutzte ich die Zeit, um die Reise vorzubereiten. Ich suchte alle Zugverbindungen und Hotels heraus. Mine half mir bei der Buchung.
Diesen Reisebericht findet ihr auf der Seite: Asien&Ozeanien: Japan-Reisebericht
Hast auch du Lust einen Reisebericht zu erstellen? Dann schicke mir eine E-Mail an: urlaub@deine-reiseberichte.de . Eine Anregung zum Erstellen deines Reiseberichtes findest du unter: Vorlage.