Am nächsten Morgen wollte ich mir das Meer ansehen und am Strand spazieren gehen.
Das Meer fand ich, aber keinen Strand. Ich lief und lief durch die Straßen. Es gab unterwegs selten Bäume, die Schatten warfen. Die Temperatur lag etwa bei 40°C. Iyo Mishima schien eine Hafenhandelsstadt zu sein. Überall waren große Fabrikhallen, die den Zugang zum Meer versperrten. Und wenn ich doch mal bis an die Mauer kam, versperrten große Betonsteine den Weg. Ich vermutete, dass es in dieser Gegend sehr viele Taifune gibt, vor denen sich die Menschen schützten. Nach ein paar Stunden verlor ich die Lust und ging zurück in die Unterkunft.
Nun wollte ich gern mal wieder ins Internet, um zu schauen, wer mir geschrieben hat und um mich zu melden. Leider gab es in diesem Ryokan keinen Rechner. Jedoch tat sich eine neue Möglichkeit auf. Ich erfuhr, dass auch in den Bibliotheken Internetrechner stehen. Aber wie findet man in dieser Stadt die Bibliothek? Fragen, fragen, fragen – bis ein Mann mich persönlich hinschaffte.
Wichtig finde ich es immer zu erwähnen, wenn der Raum klimatisiert ist. Ich weiß, viele lehnen Klimaanlage aus gesundheitlichen Gründen ab. Aber wenn man über Stunden durch die glühende Sonne läuft, ist es einfach erholsam. In der Bibliothek war ein Rechner frei, also setzte ich mich. Meine Familie war online – also chatteten wir per Mail. Nach 2 Stunden kam eine Bibliothekarin, um mir zu erklären, dass man nur eine Stunde ins Internet dürfte.
Ich machte es wie manche Japaner auch und verstand einfach nicht, was sie von mir wollten. Das führte dazu, dass die Frauen nach einer halben Stunde mir das Gleiche auf Englisch versuchten mitzuteilen. Es war ein grausiges Englisch. Dazu lächelten sie. Manchmal ging mir das ewige Lächeln auf den Nerv, da es vielmals nicht ehrlich gemeint war.
Japaner und ihr ewiges Lächeln – Es gibt 2 Arten von japanischem Lächeln:
- Aufgesetztes Lächeln („Lächelmaske“) – ich spüre, dass dies nicht von innen kommt (z.B. bei den Bibliothekarinnen)
- Ehrliches Lächeln = Interesse = Hilfsbereitschaft, und auch mal ernst sein, wenn es Probleme gibt.
Mine erzählte mir von Hitomi aus Takamatsu.
Ich mailte noch mit Mine, welche ihre Einladung wiederholte. Und sie erzählte mir von Hitomi, die in der Nähe von Takamatsu wohnt. Mine sagte, dass ich auch bei Hitomi ein paar Tage verbringen könnte. „Wie viel sind ein paar Tage?“ fragte ich Mine. Sie antwortete „Keine Ahnung – ich frage mal bei Hitomi nach…“ Für alle Fälle gab sie mir Hitomis Telefonnummer und forderte mich auf, mich bei ihr zu melden.
Auch wenn ich im Moment ein Bett und ausreichend zu Essen hatte, war ich dennoch nicht glücklich. Die lange Zeit allein, das tropische Klima und die Anstrengungen des Pilgerweges machten mir auf Dauer zu schaffen.
Ich suchte nach einer Möglichkeit, wo ich mit anderen Menschen zusammenleben könnte.
Heike aus Caracas hatte von einem speziellen Kloster auf Honshu gehört, wo ich über längere Zeit kostenlos bleiben könnte. Also checkte ich im Internet, wo das ist und unter welchen Bedingungen dies möglich wäre. Die Sekte hieß „One drop Zendo“ und ich las, dass die Mindestaufenthaltsdauer 5 Jahre war. Anno ähm hm – das war mir doch ein bisschen lang.
Sicher verschreckt viele Menschen auch der Begriff „Sekte“, aber in Japan wird jede religiöse Richtung als Sekte bezeichnet. Mittlerweile glaube ich, dass dieser negative Touch des Begriffs einfach hausgemacht ist. Dennoch klang das Ganze ziemlich unsicher. Einmal am Tag gab es ein Gespräch bei dem Führer des Ordens. Ich entschied, dass es sicherlich besser war, nicht dorthin zu gehen.
In Iyo Mishima war Internet nur eine Stunde am Tag möglich. Dazu kam, dass die Spaziergänge am Strand ausfielen. Und so richtig sauber war mein Zimmer im Ryokan auch nicht. So beschloss ich, weiter zu pilgern.
Der Tempel 65 liegt in den Bergen.
Ich hatte herausgefunden, dass ich mit dem Bus um 6:16 Uhr Richtung Tempel 65 losfahren muss. Von der Haltestelle musste ich noch einmal 60 min bergauf laufen. Diesmal pilgerte ich wieder mit meinem gesamten Gepäck. Ich fing an zu fluchen. Ein großer Teil des Weges war im Schatten. Dennoch tropfte mir bereits schon früh um 7 Uhr der Schweiß von den Händen! Dass der Körper feucht wird, wenn man schwitzt, ist allgemein bekannt. Aber bei diesem Anstieg wurde meine Hose am Schienbein vom Schwitzen nass. Meine Hände musste ich alle paar Minuten trockenwischen. Diese hohe Luftfeuchtigkeit war mir völlig neu.
Ich muss wohl völlig fertig ausgesehen haben.
Am Tempel angekommen, verschnaufte ich erst einmal. Fast zeitgleich war auch eine Buspilgertruppe angekommen. Ich ging mit hin und genoss das gewaltige „Hannya Hara Mita Shu“ – das Herzsutra. Wenn es in einer Gruppe gesprochen bzw. gesungen wird, hat es eine unglaubliche Kraft. Dann setzte ich mich wieder hin. Eine Frau aus der Gruppe kam zu mir und fragte mich, ob es mir gut gehen würde. Ich fühlte nach und beantwortete die Frage mit ja.
An diesem Tempel waren wesentlich mehr Leute als sonst. Ein Mann erzählte mir noch, dass er zu diesem Tempel täglich läuft, das wäre sein Morgensport…
Zum nächsten Tempel konnte man laut „88 Route Guide“ nur mit einem Taxi gelangen, da er mitten in den Bergen in 1000 m Höhe lag. Mein Plan sah vor, dass ich versuchen wollte, mit einem Pilger von Tempel 65 zu Tempel 66 mitzufahren. Zu Fuß wären es ca. 20 km stetig bergauf und bergab gewesen, ohne eine Übernachtungsmöglichkeit zwischendurch.
Ich passte mich den Umständen an.
Ich sah eine Gruppe von Pilgern, welche mit dem Taxi fuhr, aber die Plätze waren alle besetzt.
So wartete ich, bis mich ein Autopilger mitnahm. Wir fuhren immer weiter bergab und dann durch Flachland. Hatte ich nicht in meinem Führer gesehen, dass der Tempel hoch oben in den Bergen lag? Wo fuhren wir hin? Die paar Hügel hätte ich mit Leichtigkeit geschafft!
Anno ähm hm – wir fuhren und fuhren und ich war völlig verwirrt. Auf einmal hielten wir auf einem Parkplatz an? Ich sah gar keinen Tempel? Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Der Autopilger hatte geplant, mit einer Seilbahn auf den Berg fahren. Der Mann meinte, dass ich meinen Rucksack im Auto lassen soll. In der Gondel wurde mir die Höhe der Berge wieder einmal bewusst. Auf den Bildern sieht man dies auch sehr schön, an der Größe der entgegenkommenden Gondel.
Der Mann erklärte mir noch, wann und wo ich mich wieder einfinden sollte, dann ging jeder seinen eigenen Weg. War das ein schönes Tempelgelände! Ich war fasziniert von den steinernen Figuren. Es müssen mehrere Hundert gewesen sein und jede sah anders aus. Ich versuchte auf die Meisten wenigstens mal einen Blick zu werfen. Ein wenig verwundert war ich, dass nur eine einzige Frau als Skulptur dargestellt war.
Auf dem Berg war es richtig kalt. Ein Thermometer zeigte 25°C an.
Ganz pünktlich zurück am Treffpunkt fuhren wir den Berg wieder hinab.
Aber wie komme ich von diesem Parkplatz zu einem Verkehrsmittel, um mich weiter fortzubewegen? Wo war ich überhaupt?
Der Mann bot mir an, mich die nächsten 10 km bis zu Tempel 67 mitzunehmen. Was sollte ich tun? Also stieg ich ins Auto und weiter ging die gemeinsame Fahrt. Auch dieser Tempel war kein bisschen vom Nahverkehr erschlossen. Ich las in meinem 88-Route Guide, dass es 25 min mit dem Taxi zur nächsten Japan Rail Station gewesen wären.
So beschloss ich, die 9 km bis zu Tempel 68 zu laufen. „Mein Autopilger“ sah das anders. Er meinte, bei diesen Temperaturen wäre es nicht sonderlich intelligent diesen Weg zu laufen. Was sollte ich machen? Mich bedanken wäre unhöflich. Als schwachsinnig dazustehen wäre nicht sonderlich intelligent. Also fuhr ich weiter mit dem Auto. Gemeinsam fuhren wir die 12 km (Fuß- und Autopilgerweg sind oft unterschiedlich lang).
An den Tempeln 68 und 69 waren viele Pilger.
Tempel 68 und Tempel 69 liegen direkt zusammen auf einem Gelände in der Nähe des Ortes
Kan Onji. Ich hatte mal gelesen, dass zeitweise sehr viele Pilger unterwegs sind. Das führt dazu, dass man sich anstellen muss, um seinen Stempel zu bekommen. Und an diesem Tempel habe ich es das erste Mal erlebt, dass ich auf meinen Stempel warten musste. Wo kamen die Pilger auf einmal her? Wieso hatte ich unterwegs nur einzelne Pilger getroffen? Keine Ahnung.
Dankbar für die Freundlichkeit des Autopilgers wollte ich mich jetzt wirklich verabschieden. Er fragte mich „Wo wollen Sie denn heute schlafen?“. „Anno ähm hm – keine Ahnung?“ antwortete ich. In meinem 88-Route Guide waren ein paar Telefonnummern von Unterkünften angegeben. Ich wollte, so wie in Iyo Mishima, einfach loslaufen und schauen, was sich findet. Dies erklärte ich dem Japaner. Den Plan fand der Pilger nicht wirklich klug und meinte, man müsse das telefonisch regeln.
Der Autopilger half mir bei der Suche nach einer Unterkunft.
Innerlich lachte ich über seinen Vorschlag (als Nichtjapanerin mit Japanern zu telefonieren empfand ich als absolut chancenlos). Äußerlich nickte ich sehr ernst und erklärte ihm, dass dies mit meinem Handy nicht gehen würde. Daraufhin zückte der Mann sein Handy und fragte, wo er denn mal anrufen sollte. Anno ähm hm (man leitet wirklich nahezu jeden Satz damit ein) – keine Ahnung – war meine Erwiderung.
Seine ersten beiden Versuche schlugen fehl – er meinte, die Unterkünfte wären besetzt. Das Dritte war ein Ryokan und ich hörte, wie er sagte „Hier ist eine Deutsche – haben Sie eine Übernachtung frei? Ja? Kann sie denn jetzt schon kommen? Ja? Gut dann bringe ich sie jetzt zu Ihnen. Vielen Dank“. Okay also das Gepäck wieder ins Auto laden und los ging es.
Auf der Straße, wo sich die Unterkunft befand, war eine Baustelle, so setzte der Pilger mich in einer Seitenstraße ab und sagte, dort drüben sei das Ryokan. Ich bedankte mich herzlich und dann lief ich los. Hm – wo soll hier eine Unterkunft sein? Ich lief die Straße auf und ab. Da waren verschiedene Geschäfte und Restaurants – aber was sollte hier ein Ryokan sein? Also wieder zurück – nix! Hm, was nun? Plötzlich kam ein Mann im Unterhemd auf die Straße gelaufen und winkte mir zu. Hm? Ich ging zu ihm und wir gingen in eines der Häuser rein. Ahhhh – wieder einmal stellte ich fest, wer lesen kann, ist klar im Vorteil……………
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