Ich pilgere allein weiter
Auszug aus meinem Tagebuch: „Ich bin wieder allein. Die Holländer wollten zum Tempel 60 den Berg hochsteigen, ca. 10 – 12 km und dann wieder den gleichen Weg zurück. Das ist mir bei diesem tropischen Klima zu stressig…“
Irgendwie ganz tief innen spürte ich, dass es für mich besser ist, allein zu pilgern. Sicher hätte ich den Weg zum Tempel 60 auch ohne Probleme geschafft. Mein Gefühl sagte mir jedoch, dass ich dann nicht die Erfahrungen machen könnte, welche für mich wichtig waren. Ich spürte, dass ich diesen Weg allein gehen musste.
Wenn ich mit den Jungs gepilgert wäre, wäre es sehr einfach für mich geworden. Sie hätten sich um alles gekümmert. Übernachtung, Essen und was sonst noch so nötig war.
Beim Abendessen beschlossen wir, dass wir uns am nächsten Tag wieder trennen wollten. Trotz aller Traurigkeit blieb in mir ein Gefühl der Dankbarkeit, dass ich sie traf. Ich war einfach dankbar für die Zeit, die ich mit den Beiden verbringen durfte. Es war richtig schön mit ihnen gemeinsam zu pilgern.
Die Jungs wollten mit einem früheren Zug als ich Imabari verlassen. Ich hörte sie gehen, ich hätte aufspringen können und sie hätten mich mitgenommen. Stattdessen blieb ich liegen und fuhr mit einem späteren Zug hinterher. Manchmal weiß man einfach, dass etwas das Richtige ist, auch wenn es weh tut.

Wir blieben die ganze Zeit weiterhin in Kontakt.
Sie hatten von einem Japaner ein Handy geschenkt bekommen, mit dem sie kostenlos Mails verschicken konnten. Wir schrieben uns in den nächsten Wochen, wo wir uns befanden. Sie schafften auch die gesamte Runde, aber wir trafen uns nicht mehr wieder.
Auch wenn ich wieder allein war, keine preiswerte Übernachtung und kein Internet hatte und ich nicht wusste, wo es etwas zu Essen sowie einen Geldautomaten gibt, war ich dennoch zuversichtlich.
Ich fuhr mit dem Zug nach Iyo Komatsu und lief zum Tempel 62. Ich fragte, ob ich meinen Rucksack dort lassen kann. Die Tempelfrau schaute mich zwar etwas zweifelnd an, aber gab mir die Erlaubnis. So ging es mit leichtem Gepäck zum Tempel 61, was nur vier km waren. Wieder zurück am Tempel 62 schnappte ich mir meinen Rucksack und lief zum Tempel 63 was auch nur reichlich zwei Kilometer waren.
Inzwischen verstand ich sogar meinen rein japanischen Atlas ein bisschen besser. Darin waren zwei Routen angegeben – einmal für die Autopilger und einmal für die Fußpilger. Als Fußpilger müsste ich vom Tempel 59 zum Tempel 60 und weiter zum Tempel 61 laufen. Der Weg für die Autopilger wurde in anderer Reihenfolge empfohlen: Tempel 59 – Tempel 61 – Tempel 62 – Tempel 63 – Tempel 60 und weiter zum Tempel 64.
Da ich zum 60er Tempel (709 m Höhe) trampen wollte, musste ich mir also am Tempel 63 einen Autopilger schnappen. Etwas aufregend war es schon, ob die Japaner wirklich den gleichen Plan nach ihrem Atlas verfolgten und ich nicht vergebens auf eine Mitfahrgelegenheit wartete. Dazu kam, dass es wieder ein sehr „ruhiger“ Tag war, denn es waren sehr wenige Pilger unterwegs.
Randbemerkung:
Eine Japanerin erzählte mir später einmal, dass auch die Japaner im Sommer sehr unter der Hitze leiden. Sie verlassen das Haus deshalb nur dann, wenn es zwingend notwendig ist. Umso unverständlicher war es für sie, dass ich als Europäerin im Sommer auch noch einen der schwersten und anstrengendsten Pilgerwege lief.
Bergtempel 60
Ich hatte wieder Glück. Irgendwann kam ein Pärchen. Dieses fuhr nicht nur zum Tempel 60, sondern war auch bereit, mich mitzunehmen. Auf ging es. Unzählige Kurven führten auf den Berg. Ein bisschen war ich schon froh, im Auto zu sitzen und diesen Weg gewählt zu haben. Unterwegs musste wieder Straßenmaut bezahlt werden. Oder waren es die Parkplatzgebühren? Keine Ahnung, nach dem das Paar bezahlt hatte, ging es immer weiter nach oben. Am Ziel angekommen sah ich, dass noch andere Autos auf dem Parkplatz standen. Ich wollte die beiden nicht länger mit meiner Anwesenheit belasten und bedankte und verabschiedete mich höflich.
Ausgeruht lief ich den Weg zum Tempel, der wieder wunderschön in den Bergen gelegen war. Und wen traf ich? Wieder einmal die schweigsame Judi. Naja – wenn sie nicht schwatzen mag, muss man dies einfach akzeptieren. Und ich sah eine andere junge Japanerin, die den Pilgerweg mit dem Fahrrad absolvierte. Ob sie beim Tempel 1 angefangen hatte und die ganze Runde mit einem Mal absolvieren wollte? Sie war sehr nett und so „schwatzten“ wir ein bisschen auf Japanisch. Ich traf sie später nur noch einmal wieder.
Nach der Besichtigung der Tempelanlage lief ich zum Parkplatz zurück und wartete, ob mich jemand wieder den Berg mit hinunternehmen würde. Kurze Zeit später kam auch das Pärchen, mit dem ich hochgefahren war. Es bot mir an, dass ich wieder mit zurückfahren könnte. Ich glaube, so richtig wollten sie es eigentlich nicht. Sonst hätten sie mich sicher nicht erst meinen Rucksack bei der Ankunft aus dem Auto auspacken lassen. Aber was soll es, sie boten es mir von sich aus an und irgendwie musste ich wieder den Berg runterkommen. Auf dem Berg gab es keine Übernachtung.
Mein Ziel war die Jugendherberge in Iyo Sangawa.
Am Tempel 64 verabschiedete ich mich endgültig von ihnen und fuhr mit dem Zug nach Iyo Sangawa. Ich hatte im Internet gelesen, dass es dort eine Jugendherberge gibt. Da dieser Ort direkt am Meer lag, wollte ich dort ein paar Tage bleiben, ich hatte ja noch sehr viel Zeit.

Vom Bahnhof sollten es 20 min bis zur Jugendherberge sein, also lief ich munter los. Wie immer ging es bergan, was natürlich nicht im Internet stand. Da mir auch keine „Pilgermännchen“ den Weg zeigten und ich auch sonst keine Ausschilderung fand, fragte ich eine Gruppe von Jugendlichen.
Man sollte denken, dass sie die Jugendherberge in diesem kleinen Ort kennen, aber weit gefehlt. So zweifelte ich schon ein bisschen an der Existenz des YH aber lief weiter. (Inzwischen hatte ich gelernt, auch wenn es laut Internet ein Youth Hostel gibt, muss es nicht zwangsläufig geöffnet haben). Nach ca. ½ Stunde fand ich einen Menschen, der das YH kannte. „Anno ähm hm (beliebte Satzeinleitung der Japaner) das YH?“ „Anno ähm hm – von hier mit dem Auto ca. 20 Minuten den Berg hoch….“
Ich dachte „schöner Mist“. Wenn ich jedes Mal eine Stunde zum Meer laufen muss, anno ähm hm – das war eigentlich nicht mein Plan. Hatte ich es mir doch so vorgestellt, dass ich aus meinem Fenster das Meer sah (die 20 Minuten Fußweg lassen wir jetzt mal unter den Tisch fallen). Ich wollte gern jeden Tag am Strand entlang spazieren. Vielleicht auch endlich mal baden gehen? War ich doch auf einer Insel und noch nicht ein einziges Mal im Meer.
Weiterfahrt nach Iyo Mishima
Da ich auch kein anderes Hotel und keinen Supermarkt in diesem Ort fand, änderte ich kurzerhand meine Pläne. In meinem „88 Route Guide“ waren unweit von hier und direkt am Meer in Iyo Mishima sechs Hotels eingezeichnet, so dass ich mich in den Zug setzte und weiterfuhr.
In Japan konnte ich zwar nicht erkennen, was ein Hotel / Ryokan / oder ähnliches war, aber in meinem Route Guide standen die Telefonnummern der Übernachtungen. Und Telefonnummern standen wiederum an den Häusern. So lief ich durch Iyo Mishima und verglich die Telefonnummern, mit denen in meinem Reiseführer. Manche Telefonnummern an den Häusern und in meinem Reiseführer sahen ähnlich aus. Ähnlich reichte jedoch nicht aus, also hieß es – weitersuchen.
Dann entdeckte ich ein „Business Hotel“. Ich dachte, wo Englisch draußen dran steht, wird vielleicht auch Englisch drinnen gesprochen. Weit gefehlt, die Dame an der Rezeption sprach nur Japanisch. Mein Japanisch verstand sie auch nicht (oder wollte sie es nicht verstehen?), so dass ich meinen Sprachführer raus kramte und mit diesem versuchte, den Zimmerpreis zu ermitteln. Ein bisschen fauchig war ich schon, als sie absolut nicht verstand, was ich wollte. Lesen müsste man ja an einer Rezeption eigentlich können?
Ich hatte inzwischen mitbekommen, dass Ausländer nicht immer willkommen sind.
Das liegt unter anderem daran, dass die Japaner nix mit uns und unseren Gewohnheiten bzw. Umgangsformen anfangen können. Ja und um einfach nichts falsch zu machen, stellen sie sich unwissend oder sind halt ausgebucht. Ich glaube kaum, dass es an mir als (nichtsterile) Pilgerin lag. Es war eher Unsicherheit, welche die Japaner zu diesem Verhalten bewegte.
Also lief ich weiter, plötzlich entdeckte ich ein Haus, wo die Telefonnummer mit dem Route Guide übereinstimmte. Es stellte sich als Ryokan heraus, in dem die Übernachtung ohne Essen 5000 Yen kostete. Was lobte ich da die Preise der Youth Hostels – da kam Übernachtung mit Essen nur etwa die Hälfte. Egal – wichtig war ein Platz zum Schlafen, also wurde ich zu meinem Zimmer geführt. Dann wurden mir noch das Waschbecken auf dem Gang, die Toiletten und das japanische Bad gezeigt, Internet gab es nicht.
Abends suchte ich etwas Essbares und fand einen nicht allzu dollen Supermarkt. Er war eher wie ein „Pfennigfuchser“, wo es alles und nichts gab. Egal, eine Verkäuferin half mir wieder bei der Suche nach vegetarischem Essen und anschließend setzte ich mich in mein Zimmer und aß.
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