Im Ryokan halte ich Rückschau
Wochenlang vorher hatte ich mir Gedanken gemacht, wie ich die Bergtempel bewältigen könnte.
Die Taxivariante wollte ich wegen der Kosten vermeiden. Laufen mit Rucksack wäre bei dem tropischen Klima eine ziemliche Quälerei geworden. Ich hatte überlegt, ob ich trampen sollte. Würde mich wieder jemand mitnehmen? So sicher war ich mir da nicht. Wo schlafe ich, wenn mich niemand vom Bergtempel mitnimmt? Ich hatte in meinem 88-Route-Guide gelesen, dass es an den Bergtempeln auch keine Supermärkte gibt. Daher hatte ich mir sicherheitshalber Proviant für 2 Tage eingepackt.
Im tiefsten Inneren hatte ich gehofft, gegen Abend irgendwie wieder in bewohnter Gegend anzukommen. Stattdessen lag ich bereits mittags auf meinem Futonbett. Auch wenn ich einen Teil der Strecke mit dem Auto gefahren war, war ich dennoch allein durch die Aufregung ziemlich KO. Daher ruhte ich mich erst mal aus.
Nachmittags suchte ich mir wieder eine Bibliothek.
Diesmal machte ich es schlauer. In dieser Bibo gab es im Erdgeschoss und im ersten Stock jeweils einen Internetrechner. So wechselte ich einfach nach einer Stunde meinen Platz. Im ersten Stock war ein körperlich behinderter Mann verantwortlich. Er gab mir einen Zettel, wo meine Startzeit aufgeschrieben stand. Aber eine Stunde ist so unglaublich schnell um. Es waren verschiedene Mails zu schreiben und zu überlegen, was ich denn in den nächsten 4 Wochen noch anstellen könnte? Als dann auch noch das Personal aus dem Erdgeschoss nach oben kam, war ich recht unruhig. Doch der Mann war mir gnädig, er lies mich am Rechner bleiben.
Das mit dem „One drop Monastery“ hatte ich gecancelt. Aber was mache ich nun mit der verbleibenden Zeit? Ich hatte von einem Hauptkloster auf Honshu gehört. Allerdings hatte ich keinerlei Kartenmaterial. Ich suchte in Google und fand es. Nun stand ich vor der Frage, wie man dorthin kommt. Wie sollte ich den Haupttempel völlig ohne Kartenmaterial finden?
Ich mailte auch mit Mine.
Sie meinte, Hitomi hatte sich bisher nicht geäußert, was „ein paar Tage bedeuteten“. Sie empfahl, dass ich einfach mal abwarten sollte. Auch wusste sie nicht, wo genau Hitomi wohnt. In der Nähe von Takamatsu – nähere Infos hatte sie auch nicht.
Am 9.8.09 fegte ein Taifun über Shikoku.
Ich erfuhr erst später durch Freunde und Fernsehen, dass es ein Taifun war und dazu noch ein sehr heftiger. Ich wusste von all dem nix, sah nur, dass es nahezu den ganzen Tag stürmte und es ungewöhnlich heftig schüttete. Dadurch bedingt strich ich meinen Tagesplan zum Tempel 70 zu laufen. Stattdessen blieb ich im Bett.
Am Nachmittag so gegen 15 Uhr wurde ich unruhig und wollte das Haus verlassen. Der Gang war dunkel und niemand reagierte auf mein Rufen. Die Haustür war zugeschlossen und ich war eingesperrt. Später erfuhr ich, dass das Ryokan von 10 bis 17 Uhr geschlossen ist.
Als ich endlich nach Rückkehr der Besitzer das Ryokan verlassen konnte, beabsichtigte ich noch eine Runde spazieren zu gehen. Ich wollte zum Meer laufen und mir dort die berühmte Sandmünze am Strand ansehen. Diese Münze, komplett gefertigt aus Sand, hat einen Umfang von 345 Meter. Es wird gesagt, wer sie sieht, wird gesund bleiben, ein langes Leben und keinerlei finanzielle Schwierigkeiten haben.
Die Sandmünze von Kannonji im Kotohiki Park.
Der Weg zum Meer ging durch einen Park und da sah ich wilde Hunde, die herum streunten. Ich war allein und fürchtete mich sehr. Ich getraute mich nicht, weiter zu laufen und wartete erst einmal in der Nähe eines Hauses ab. Als ich ein paar junge Leute Richtung Meer laufen sah, stolperte ich schnell hinterher. Die Sandmünze konnte ich leider nirgendwo entdecken.
Am nächsten Morgen lief ich zum Tempel 70 reichlich fünf Kilometer. Der Fluss war durch den gestrigen sintflutartigen Regen sehr weit über seine Ufer getreten. Mehrmals musste ich dem Wasser ausweichen.
Wieder zurück in Kan Onji wollte ich in die hiesige Bibliothek, welche aber heute am Montag geschlossen hatte. Also war nichts mit Kontakt mit der anderen Welt. So lief ich zum Bahnhof, um mir Zugverbindungen nach Tokushima heraus suchen zu lassen.
Tanzfest Awa Odori
Ich hatte den Plan gefasst, als nächstes erst einmal zu dem in Japan sehr berühmten Tanzfest Awa Odorizu fahren. Wegen einer Übernachtung rief ich Hotel Mama (Tokushima Station Hotel 徳島ステーションホテル) in Tokushima an. Dabei erfuhr ich, dass alle Hotels aufgrund dieses Ereignisses bereits ein Jahr vorher ausgebucht waren. Da Sanae mich aber so sehr mochte, bot sie mir an, dass ich in ihrem privaten Appartement übernachten kann. Natürlich war ich froh und dankbar über das nette Angebot.
Wikipedia: The Awa Dance Festival (阿波踊り, Awa Odori)
is held from 12 to 15 August as part of the Obon festival in Tokushima Prefecture on Shikoku in Japan. Awa Odori is the largest dance festival in Japan, attracting over 1.3 million tourists every year.
Groups of choreographed dancers and musicians known as ren (連) dance through the streets, typically accompanied by the shamisen lute, taiko drums, shinobue flute and the kane bell. Performers wear traditional obon dance costumes, and chant and sing as they parade through the streets.
Awa is the old feudal administration name for Tokushima and odori means dance.
Als ich auf dem Bahnhof war, erinnerte ich mich, dass mitten auf der Insel ein wunderschöner Nationalpark sein sollte. Aber wie hieß der noch mal? Ich blätterte in einem Reisebüro alle Kataloge durch und versuchte den Angestellten mein Ziel zu erklären. Irgendwie begriffen sie, was ich meinte. Es stellte sich jedoch heraus, dass der Park nicht auf meinem Weg nach Tokushima lag. Schade.
Anschließend lief ich noch einmal zu Kotohiki Park, um die Sandmünze zu suchen. Am Tag vorher war ich ja kläglich gescheitert. Als ich wieder Richtung Meer lief, hielt ein Auto neben mir. Der Fahrer schien zu ahnen, wo ich hin wollte und wies mir rigide den Weg. Und der ging, wie sollte es anders sein, den Berg hinauf. Ich versuchte Protest einzuwenden, jedoch ließ der Mann mir keine Alternative. Nach anfänglichem Sträuben lief ich den Berg hinauf. Als ich oben ankam, wurde mir klar, dass der Mann vollkommen Recht hatte. Von der Meeresperspektive aus, hätte ich diese Sandmünze nie gefunden.
Sumimassen, wie komme ich zum Haupttempel?
Am Aussichtspunkt lernte ich auch noch andere Touristen kennen. Wir führten die übliche Kommunikation (es ist heiß, ja ich bin allein und laufe den schweren 88-Tempelweg …). Diesmal erwähnte ich noch, dass ich gern zum Haupttempel nach Koja San fahren wollte. Die Japaner kannten diesen heiligen Berg und versuchten sofort mit ihrer Karte und einem Navigator einen Weg für mich heraus zu finden. Leider nützte mir die Beschreibung letztendlich nichts, da sie nur für Autofahrer geeignet war, dennoch Arrigatou gossaimassu – Dankeschön.
Ich wollte gern noch einmal ans Meer und vom Berg führte ein Weg direkt dorthin. Beim Abstieg versuchte ich meine Angst vor den wilden Hunden zu überwinden und hatte Glück, diesmal waren keine zu sehen.
Circa 1000 km von 1200 km sind absolviert und 70 Tempel besucht.
Auf nach Tokushima zum Tanzfest Awa Odori
Früh packte ich meine Sachen und lief zum Bahnhof. Die Zugfahrt nach Tokushima hat perfekt geklappt. Nun war ich wieder daheim – in Tokushima. Hier kannte ich mich schon ein bisschen aus. Ich lief zum Hotel und erfuhr, dass es am Tag zuvor eine Stornierung gegeben hat. Dieses Zimmer wurde sofort für mich reserviert. So hatte ich sogar mein eigenes Zimmer. Wie schön das war. Ich gab meine Sachen wie gewohnt zum Waschen ab und schon saß ich am Rechner.
Es war einfach wohltuend wieder in diesem Hotel zu sein. Das Personal kannte mich und alle freuten sich, mich wieder zu sehen. Da ich mittlerweile Stammgast bzw. Dauergast war, baten sie mich um Unterstützung, wenn Touristen kamen, welche nur Englisch sprachen. Ich musste erklären, wann und was es zum Frühstück gibt. Ich half bei der Anmeldung und erklärte, dass es keine freien Zimmer mehr gab. Im Prinzip all die Fragen, die man so mit den Touristen besprechen muss.
Der Taifun hatte auch ziemlich heftig in Tokushima gewütet.
Ich hörte, dass sogar eine Frau in dieser Stadt ihr Leben in den Wassermassen verloren hatte. Selbst die Automatik der Eingangstür des Hotels war seitdem außer Betrieb. Sie ließ sich nur noch durch Schieben von Hand öffnen. Da zur Zeit des Awa Odori eine rege Betriebsamkeit in Tokushima herrschte, wollten sehr viele Leute ins Hotel. Wenn Leute verunsichert vor der sich nicht öffnenden Automatiktür stehen blieben, half ich gern.
Das Personal kümmerte sich rührend um mich. Am Rechner bloggte und chattete ich per Mail mit meiner Familie. Als ich mit Hitomi telefonieren wollte, wurde ein Stuhl für mich ans Telefon gestellt.
Hitomi bot mir an, mich am übernächsten Morgen mit dem Auto nach Takamatsu mitzunehmen. Sie sprach perfekt Englisch und erkundigte sich, woran sie mich denn am Treffpunkt erkennen könnte? Voller Ernst überlegte ich und ließ mich dann auch sicherheitshalber noch von der Dame an der Rezeption beschreiben. Ich wollte vermeiden, das Hitomi mich wohlmöglich zwischen den vielen Menschen übersah. Hinterher musste ich ziemlich über mich schmunzeln, denn ich war wahrscheinlich die einzige Nichtjapanerin in Pilgerkleidung mit rotem Rucksack in Tokushima. Und doch fing ich an meine Körpergröße, Haarfarbe etc. zu beschreiben… Ich war hier auf Shikoku zu Hause. Ich war zwar nicht wirklich glücklich, aber ich vergaß bereits die Unterschiede in den Äußerlichkeiten.
Wiedersehen mit Moto
Später lief ich noch einmal zum Bahnhof und wen traf ich da? Moto – den Pilger mit dem ich am Tempel 6 übernachtet hatte. Wir schwatzten ein wenig. Er erzählte, dass er schon einige Zeit in Tokushima ist. Moto trug immer noch seine Pilgerkleidung und bettelte wieder.
Im Bahnhofsgebäude lernte ich zwei Französinnen kennen, welche die gesamte Pilgertour erfolgreich bewältigt hatten. Sie erzählten mir, dass sie meist in ihrem Zelt übernachtet haben. Sie sagten, sie seien wohl auch den größten Teil der Strecke gelaufen. Die beiden Frauen waren richtige Weltenbummlerinnen. Vor dieser Tour fuhren sie fünf Jahre lang mit dem Fahrrad um die gesamte Welt. Wo war der Unterschied zu mir, dass es ihnen so gut ging? Vielleicht schlicht und einfach, dass sie sich liebten und dadurch keine Einsamkeit und kein Heimweh spürten?
Abends luden Sanae und ihre Schwester mich zum Essen ein. Wir aßen ganz lecker beim Italiener. Bei Sanae gewann ich immer mehr den Eindruck, dass sie an mir nie wirklich etwas verdient hat. Die gesamten Übernachtungskosten hat sie stets wieder mit mir umgesetzt. Auch beim Zimmerpreis war sie sehr gütig mit mir, normalerweise bezahlt man während der Zeit des Awa Odori den doppelten Preis.
Hast auch du Lust einen Reisebericht zu erstellen? Dann schicke mir eine E-Mail an: urlaub@deine-reiseberichte.de . Eine Anregung zum Erstellen deines Reiseberichtes findest du unter: Vorlage.